Kulturell erlaubt, trotz erheblicher Risiken – die Droge Alkohol

Damit kein Irrtum aufkommt: Alkohol (chemisch Äthanol oder auch Ethanol/C2H5OH) ist Gift für den Körper, Alkoholwirkungen führen z.B. akut zu Entzündungen der Speiseröhre, der Magenschleimhaut und der Bauchspeicheldrüse sowie zu Magen-Darm-Geschwüren und Durchfall, chronischer Gebrauch kann zu Krebserkrankungen der Mundhöhle, des Rachens, des Kehlkopfes, der Speiseröhre und des Enddarms führen, daneben möglichweise auch zu Darmkrebs. Typisch sind daneben Krankheiten wie Speiseröhrenentzündung, Fettleber, Leberzirrhose, chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung sowie gestörte Nahrungsaufnahme (Teyssen 2010). Daher sind Hinweise auf Vergiftungen auch als ein wichtiges Indiz dafür zu werten, dass die gängigen Konsumempfehlungen eines risikoarmen Alkoholkonsums von 20-24g Reinalkohol pro Tag bei Männern und 10-12g bei Frauen von vielen Menschen nicht eingehalten werden (0,33l Bier enthalten etwa 13g Alkohol, 0,2l Wein etwa 17,6g, 0,1l Sherry etwa 16g, 0,02l Likör 5g und 0,02l Whiskey 7g). Und wenn immer wieder nur auf die Jugendlichen verwiesen wird, die unter Alkoholvergiftungen litten (z.B. als Auswirkung von “Koma-Saufen“ oder „Binge-Drinking“), so sprechen die Daten eine andere Sprache: Zahlenmäßig haben die Erwachsenen in der Zwischenzeit „gleichgezogen“: In den vergangenen 9 Jahren stieg die Anzahl der Alkoholvergiftungen bei den 40- bis 45-Jährigen um ca. 133%, bei den 50- bis 55-Jährigen sogar um ca. 184% an. Für die 10- bis 20Jährigen lagen die Steigerungsraten im gleichen Zeitraum bei 178%, für die 20 bis 25-Jährigen bei 194 Prozent. Der übermäßige Konsum von alkoholischen Getränken darf daher nicht nur bei den Jugendlichen kritisiert werden, die Erwachsenen leben diesen Umgang mit Alkohol den Kindern oder Jugendlichen sogar vor. In einem Projekt des Universitätsklinikums Heidelberg gab es für diese Annahme klare Aussagen: Von den befragten 14- bis 16-jährigen Schülerinnen und Schülern gaben 56,1% der Jungen und 61,6% der Mädchen an, noch nie in ihrem bisherigen Leben richtig betrunken gewesen zu sein, rund 23% gaben an, dass sie bisher 1- bis 2-mal betrunken gewesen seien, 12 – 14% immerhin 3- bis 9-mal und 4,2% der Mädchen und 6,0% der Jungen 10-mal oder öfter. Erkennbar ist zwar, dass bei den Jungen ein höherer Alkoholkonsum als bei den Mädchen vorliegt, starke Trunkenheit tritt jedoch ähnlich häufig bei beiden Geschlechtern auf (SEYLE 2010). In der Zwischenzeit zeigen die Statistiken, dass jeder Fünfte zwischen 18 und 64 Jahren ein Alkoholproblem hat und dass die zweithäufigste Hauptdiagnose der Krankenhausstatistik bei Männern nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes „Psychische Verhaltensstörung durch Alkohol“ lautet. Daten zeigen auch, dass bei 29% der Männer und 9% der Frauen, die in ein Allgemeinkrankenhaus eingewiesen werden, eine alkoholassoziierte Krankheit vorliegt (Teyssen 2010). Die Behandlungskosten und die volkswirtschaftlichen Kosten sind immens: 26,7 Mrd. Euro kommen da zusammen, rund 10 Mrd. für die direkten medizinischen Behandlungskosten in Arztpraxen, Krankenhäusern oder Rehabilitations-Einrichtungen und 16,7 Mrd. als indirekte Kosten für den Ausfall von Arbeitszeit, frühzeitiges Versterben und Frühberentung. Rund 74.000 Todesfälle haben pro Jahr direkt mit dem Alkoholkonsum zu tun, der Anteil der alkoholbedingten Todesfälle in der Altersgruppe zwischen 34 und 64 Jahren beträgt insgesamt 21%, bei den Männern 25% und bei den Frauen 13%. „Wie kommt es“, fragt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen während einer Pressekonferenz im April 2011, „wie kommt es, dass ein Produkt, das derart negative Wirkungen zeigt, sowohl auf den Einzelnen wie auf die Gesellschaft, derart unterschätzt wird? Wie kommt es dazu, dass in Deutschland alljährlich so viele Menschen durch Alkohol sterben, dass eine Stadt der Größenordnung Brandenburgs ausgelöscht wird, ohne dass es eine Aufschrei in Politik und Gesellschaft gibt?“ Image und Schadenspotenzial des Alkohols stehen offenbar in einem kaum nachzuvollziehenden Widerspruch: Auf der einen Seite seine Funktion als cooler Muntermacher, Kontaktstifter oder Problemlöser, auf der anderen Seite die „Nebenwirkungen“ Vergiftung, Abhängigkeit und Tod.

Alkoholkrankheit – ein meist schleichender Prozess

Mit der Alkoholkrankheit wird die Abhängigkeit von der Substanz Äthanol bezeichnet. Die International Classification of Diseases (ICD) klassifiziert die Erkrankung in der ICD 10 als F10 „Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol“, das amerikanische Diagnostic  and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV) codiert die Alkoholabhängigkeit mit 303.90 und den Alkoholmissbrauch mit 305.00. Wichtig ist, dass die früher meist als „Alkoholismus“ bezeichnete Alkoholabhängigkeit nun als Krankheit anerkannt ist und damit auch die ärztliche Behandlung als adäquate Intervention gesehen wird. Die Alkoholkrankheit beginnt oft schleichend und unerkannt, es gibt keine einheitlichen Verläufe, die sich an einer kontinuierlichen Steigerung des Konsums erkennen lassen und die immer mit sozialem Abstieg und letztlich mit dem Tod enden. Viele Alkoholkranke bleiben vielmehr leistungsfähig und integriert, sie bleiben oftmals unauffällig, die Krankheit entwickelt sich oft nur langsam. Dies ist sicherlich auch einer der Gründe, warum das Verleugnungspotenzial der Betroffenen über lange Zeit aufrecht erhalten werden kann und die Schwere der Krankheit verborgen bleibt.

Alkohol und das zentrale Nervensystem

Wie bei anderen Drogen spielen auch beim Alkoholkonsum bestimmte biologische Aspekte eine wichtige Rolle. Es dauert etwa zwei Minuten, bis der konsumierte Alkohol über den Magen in die Blutbahn gelangt und danach im Gehirn ankommt. Die Studien an Tieren, vor allem an Ratten und Mäusen, haben deutlich gemacht, dass Unterschiede der genetischen Ausgangssituation im zentralen Nervensystem mit seinen Überträgerstoffen „angesprochen“ werden, wenn Alkohol konsumiert wird. Solche Überträgersubstanzen wirken auf die Regulationssysteme im Gehirn ein, die sowohl aktivierend wie hemmend wirken können. Somit beeinflusst Alkohol den Stoffwechsel im Gehirn, die Moleküle des Alkohols binden an ganz unterschiedliche Rezeptoren. Dadurch wird auch die Weiterleitung von Reizen durch Impulse zwischen den Nervenzellen verändert. Alkohol bindet vor allem an solchen Rezeptoren, die für die Hemmung und Dämpfung verantwortlich sind, an die Rezeptoren für die Gamma-Aminobuttersäure (GABA-Rezeptoren). Alkohol wirkt aber auch auf andere Botenstoff-Rezeptoren, die man dem körpereigenen Belohnungssystem zurechnet, nämlich vor allem auf Dopamin, Serotonin und die Endorphine. Hieraus entstehen Verhaltensveränderungen, es kommt zu Tatendrang, vielfach zu gesteigerter Redseligkeit und vor allem zu Glücksgefühlen. Die Ausschüttung dieser Botenstoffe hat aber ihre Grenzen. Wenn die konsumierte Alkoholmenge weiter steigt, überwiegt ab einem bestimmten, individuell verschiedenen, Zeitpunkt die dämpfende Wirkung, das Gleichgewicht zwischen Aktivität und Dämpfung wird nachhaltig gestört, es kommt zu einer Abnahme der Nervenimpulse im Gehirn bzw. im zentralen Nervensystem durch das Glutamat-System, das auch zu den Transmittersystemen im Gehirn gehört. Das schon erwähnte GABA-System verstärkt die Dämpfung noch weiter, wenn Alkohol an diese Rezeptoren bindet, Alkohol wirkt also wie eine Bremse in der Gehirntätigkeit. Es kommt so zu ganz unterschiedlichen Auswirkungen auf das Verhalten von Personen, die Alkohol konsumieren: Sie reichen von Enthemmung über nachlassende Reaktionsfähigkeit (vor allem auf rote Signale), Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, Sprachstörungen und steigende Risikobereitschaft mit Aggressionen bis hin zu abnehmender Merkfähigkeit und nach besonders intensivem Alkoholkonsum bis zum „Blackout“.

Die Ausprägung dieser Reaktionen kann aber bei verschiedenen Personen sehr unterschiedlich ausfallen. Es gibt Menschen, die eine erste Sedierung durch Alkohol nur wenig merken. Dies kann dazu führen, dass die Gefahren eines exzessiven Alkoholkonsums nur bedingt oder erst sehr spät wahrgenommen werden, dieses natürliche Warnsignal tritt bei diesen Menschen nicht auf. Untersuchungen konnten zeigen, dass diese Reaktion mit einer serotonergen Funktionsstörung zu tun hat, bei der die sonst üblicherweise durch die GABA-Rezeptoren vermittelte Sedierung entfällt oder zumindest abgeschwächt wird. Diese Funktionsstörung führt übrigens oftmals zu erhöhter Aggressivität der betroffenen Menschen und zu einer Erhöhung der getrunkenen Alkoholmengen. Viele dieser Personen brüsten sich dann auch mit der Aussage, dass sie andere „unter den Tisch“ trinken könnten. Dass diese „Fähigkeit“ aber auch eine erhebliche Gefahr beinhaltet, wird kaum wahrgenommen: Es könnte nämlich bei denen, die scheinbar mehr Alkohol „vertragen“ als andere, schneller zu einer Alkoholabhängigkeit kommen, die typischerweise mit erheblichen Alkoholmengen einhergeht und ein erhebliches Gefährdungspotenzial für den gesamten Organismus hat (Schwärzer/Mann 1998).

Aber auch das Hirn kann auf Dauer erheblich geschädigt werden. Diese Hirnatrophie betrifft vor allem die graue und weiße Substanz. Unabhängig von einem Wernicke-Korsakow-Syndrom, das häufig bei alkoholkranken Menschen vorkommt und zu Psychosen und Erinnerungslücken führt und das bei 3 – 12% der Alkoholkranken als Wernicke-Enzephalopathie vorkommt (als Ursache gilt ein Vitamin-B1-Mangel), kommt es bei der Hirnatrophie im Frontallappen der Großhirnrinde und im Kleinhirn zu Veränderungen, die langfristige Handlungsplanungen und das Arbeitsgedächtnis behindern und damit auch den Alkoholkonsum aufgrund der „Macht“ des vor allem dopamingesteuerten Belohnungssystems verstärken kann (Mann/Heinz 2001). Die Bedeutung dieses Belohnungssystems scheint im Übrigen entwicklungsgeschichtlich zunächst darin zu liegen, das Überleben der eigenen Art zu sichern, wie Untersuchungen bei Ratten zeigten. Das Sexualverhalten und die Brutpflege wurden offensichtlich als angenehm empfunden, zerstörte man dieses Belohnungssystem bei den Untersuchungstieren, so wurden diese Handlungen nicht mehr vollführt, letztlich stirbt das Tier. Beim Menschen ist dieses Belohnungssystem offenbar auch „anfällig“ für Suchtstoffe wie Alkohol, Nikotin, Opiate, Kokain, Psychostimulanzien, Benzodiazepine u.a. Insbesondere das Dopamin führt bei der Zufuhr von Alkohol zu einem Anstieg von Endorphinen, also zu körpereigenen Opiaten. Daher ist die Entstehung der Alkoholabhängigkeit auch eng mit diesem Belohnungssystem verbunden.