Ärzte fordern Werbeverbot für Alkohol

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Bremer Initiative will Bannmeile um Sportplätze und Fußballstadien – Reaktion auf neue Zahlen zu Komatrinken – von Sabine Doll

Trinken, bis nichts mehr geht: Auch wenn in Bremen die Zahl der Jugendlichen, die wegen einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus landen, gegen den Bundestrend zurückgegangen ist, sehen Bremer Ärzte und Krankenkassenexperten darin alles andere als eine Entwarnung. Anlass sind aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die die Krankenkasse DAK ausgewertet hat: Danach wurden im Jahr 2016 bundesweit 22 309 junge Patienten im Alter von zehn bis 20 Jahren völlig betrunken und komatös in eine Klinik gebracht – im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg um 1,8 Prozent. In den drei Jahren zuvor hatte die Zahl stetig abgenommen. Die Entwicklung in den einzelnen Bundesländern ist sehr unterschiedlich: So sticht Bremen etwa mit einem Rückgang um 6,1 Prozent heraus – landeten 2015 insgesamt 181 Jugendliche volltrunken in der Klinik, waren es im vergangenen Jahr 170 junge Patienten mit einer Alkoholvergiftung.

Bremen verzeichnet damit gemeinsam mit Schleswig-Holstein (minus 6,1 Prozent) und Berlin (minus 6,3 Prozent) den stärksten Rückgang. Am anderen Ende der Skala rangiert Sachsen-Anhalt mit einem Anstieg um 26,2 Prozent. In Niedersachsen ist die Zahl der jugendlichen Komasäufer um zwei Prozent im Vergleich zu 2015 gestiegen. Der Leiter der DAK-Landesvertretung in Bremen, Jens Juncker, warnt jedoch davor, den Rückgang in Bremen als anhaltende Trendumkehr zu interpretieren. Ganz im Gegenteil: „Beim Komasaufen von Jugendlichen ist es wichtig zu gucken, wo wir herkommen: Wir hatten im Jahr 2000 in Bremen 51 Klinikeinweisungen, 2016 aber 170. Auch wenn die Zahlen mal geringfügig heruntergehen – entscheidend ist das Gesamtniveau. Und das ist alarmierend hoch.“

Das sieht auch der Chefarzt der Kinderund Jugendmedizin im Bremer Klinikum Links der Weser, Martin Claßen, so: Er behandelt immer wieder Minderjährige, die betrunken im Krankenhaus landen, teilweise seien dies auch 13- oder 14-Jährige. „Je jünger die Betroffenen mit dem Alkoholkonsum anfangen, desto größer ist das Risiko, dass eine Abhängigkeit entsteht. Für diesen Zusammenhang gibt es wissenschaftliche Belege“, sagt er. Jeder Vollrausch berge zudem die unmittelbare Gefahr, dass es zu Unfällen und zu Gewalt komme. Oder dass sich die Betroffenen im Vollrausch erbrechen und daran ersticken. Der Kinderarzt sieht bei der Prävention die Eltern und die Gesellschaft in der Pflicht: „Die Erwachsenen dürfen keine schlechten Vorbilder sein. Das betrifft das Trinkverhalten zu Hause, aber auch Verfügbarkeit und Präsenz von Alkohol in der Öffentlichkeit, etwa in Form von Fassanstichen bei Volksfesten.“

Claßen ist Mitglied einer Initiative, der Ärzte, Gesundheitsforscher und andere Fachleute angehören. Der Bremer Zusammenschluss fordert seit Langem ein Werbeverbot für Alkohol in und um Sportstätten. Überall dort, wo Kinder und Jugendliche Sport treiben – und dort, wo sie ihren Vorbildern zuschauen. „Zum Beispiel im Stadion. Warum muss Bier zwingend zum Erlebnis Fußball dazu gehören?“, fragt Claßen. Die Kombination Alkohol und Sport sowie die Werbung dafür seien eine verhängnisvolle Verknüpfung. Selbst bei Jugendturnieren gebe es oft Bierstände am Spielfeldrand. Es sei viel im Bereich der Aufklärung und Verhaltensprävention getan worden. „Mit der Forderung nach einem Werbeverbot, auch bei der Politik, sind wir aber bislang nicht weit gekommen. Die Angst, etwa Sponsoren zu verlieren, ist wohl größer“, kritisiert der Kinderarzt.

Ein Werbeverbot sowie höhere Preise für alkoholische Getränke fordert auch der Chefarzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Krankenhaus Auf der Bult in Hannover. Alkohol sei rund um die Uhr und zu Dumpingpreisen erhältlich. Für Jugendliche seien vor allem Mixgetränke gefährlich, warnt Christoph Möller. „Man schmeckt nicht, dass man Alkohol trinkt, nimmt dabei aber harte Sachen zu sich.“ Diese Erfahrung macht auch Klaus-Peter Hermes, Leiter der Notfallaufnahme im Klinikum Bremen-Mitte. „Immer wieder landen hier Jugendliche, die sich regelrecht weggeschossen haben. Wurde vor 20 Jahren noch mit Bier experimentiert, sind es heute harte Sachen wie Wodka, die mit Säften gemixt werden“, beschreibt der Arzt. Vor allem Wochenenden oder Veranstaltungen wie Freimarkt und Osterwiese seien die Stoßzeiten. „So schlimm wie es klingt, aber das ist inzwischen Alltag.“ Es komme auch vor, dass Jugendliche oder junge Erwachsene mit einem Wert um die 2,0 Promille darunter seien.